Selene Mariani – Ellis.
„Ellis“ heißt der Debut-Roman von Selene Mariani, erschienen im Wallstein Verlag. Ellis ist eine junge Frau, die als Mädchen mit der Mutter aus Italien nach Deutschland übergesiedelt ist und sich dann in einer neuen, völlig fremden, harsch-kalten Umgebung zurecht finden musste. Die Beziehung zu ihrer Schulfreundin Grace ist spannungsreich, schwankt zwischen engster Bindung und tiefster Ablehnung. Fremdheit, das Fremde im Eigenen und das Erkennen des Eigenen im Fremden – das Entdecken der eigenen Individualität und ihrer Geheimnisse – wird hier auf zwei Ebenen thematisiert, auf der der Nationen und Sprachen ebenso wie auf der persönlichen. Ein beziehungsreiches Geflecht entsteht, das die Autorin äußerst geschickt aufarbeitet. Zwar springt sie munter zwischen den Zeitebenen hin und her – von der Abreise aus Italien über die Schulzeit und den Beginn des Arbeitslebens in Deutschland bis zu einer kathartischen Italienreise mit Grace und deren „Nachwehen“ wieder in Deutschland – und folgt dabei auch noch einer assoziativen Erzählweise: und trotzdem verliert man in dem geschickt angerichteten Chaos nie und nirgends die Übersicht, folgt man der spannungsreichen, spannend erzählten Geschichte geradezu atemlos. Bis es zur Klärung der Verhältnisse kommt – eine echte Befreiung – hat man 120 Seiten gelesen, und danach ist man traurig, dass das Buch schon zuende ist. „Ellis“ ist auch eine neue Art Liebesroman – wie ich noch keinen gelesen habe, und wie ich ihn jede:m nur ans Herz legen kann. Und auf das Nachtkästchen.
Der Wallstein Verlag hat sich erneut mächtig ins Zeug gelegt, ein ausnehmend schönes Buch zu gestalten. Man kann nicht anders, als die Lektüre immer wieder zu unterbrechen, um es zu mustern, so kunstvoll ist es gestaltet. Und so spinnwebfein die Geschichte gewebt ist, so ist das Buch auch grafisch gestaltet. Obwohl die einzelnen Abschnitte kurz sind, wurde eine verhältnismäßig kleine Schrifttype gewählt – was diese Feinheit wunderbar veranschaulicht. Wie als Gimmick liegt dem Band ein kongenial gestaltetes Lesezeichen bei, das einige italienische Redensarten übersetzt, die so im Text selbst nicht erklärt werden müssen, womit also weder der Lesefluss unterbrochen noch das grafische Konzept durchbrochen werden muss. Man fühlt sich beschenkt. Bitte mehr davon.
Selene Mariani – Ellis. Göttingen: Wallstein, 2022. 147 Seiten. ISBN 978-3-8353-5152-3.