Der Inhalt
Die Grundkonstellation ist einfach: Großmutter Enni stirbt, die Mutter schlägt das Erbe aus, überlässt es aber ihren Töchtern, es anzunehmen. Matilde fährt an den See und betritt ihr Erbe, das Häuschen ihrer Oma. Leise, tastend bewegt sie sich durch das Haus, voller Respekt für ihre Großmutter … an die sie zwar gute Erinnerungen hat, doch ist der Kontakt trotzdem abgebrochen. Bewusst abgebrochen worden von ihrer Mutter.
Die Farben des Sees bestimmen die Stimmung. An jedem Kapitelanfang hat zunächst der See das Wort und zeigt sich in Farben, die auch die Stimmung des Abschnitts einfangen. So sehen wir Matilde nun nicht nur im Haus, sondern auch im Ort spazieren gehen. Im Licht, am Wasser, auf dem Weg. Sie steckt selbst in der Trennung von ihrem Freund Mads, sodass es für sie recht gelegen kommt, sich um etwas völlig anderes zu kümmern, ihre Gedanken auf ein anderes Ziel zu richten. So findet sie bei ihrer Inspektion des Erbes auch alte Fotoalben, und, davon losgelöst, ein Foto eines jungen Mannes, dessen Porträt es nicht in die Familienalben geschafft hat … was für eine Bedeutung hat er, was ist hier vorgefallen? Warum hat Matildes Mutter eigentlich seinerzeit den Kontakt zu ihrer Mutter, Enni, abgebrochen? Matilde sucht jenen Bekannten ihrer Großmutter und findet ihn auch. Ein alter Mann, inzwischen, aber er hat einiges zu erzählen, was auch die Leerstellen in Matildes Familiengeschichte zu füllen vermag.
Der Erzählstil
Das Buch kann man vielleicht am besten als „still“ bezeichnen. Ein ruhiger Erzählfluss, ein Bächlein, an dessen Ufer man gern sitzt und dessen Plätschern man lauscht, bis der Wasserlauf in den großen See mündet: Nach und nach kommt hier eins zum anderen, kommen immer neue Puzzleteilchen hinzu und ergänzen die Geschichte zu einem großen Bild. Ein Buch für die entspannte, entspannt-nachdenkliche Lektüre, die ohne die großen Aufreger auskommt, dafür aber emotionalen Gehalt liefert. Im Gefühl liegt seine Stärke.
Natürlich kann man den See als Bodensee verstehen – aber das schließt nicht aus, dass es auch an einem anderen See verortet werden kann. Der See als der letzte Protagonist spielt schließlich auch noch seine Rolle.
Der Schriftsatz!
Dem Stadler Verlag ist darüber hinaus hier ein besonders schönes Buch gelungen. Das Cover kann man als Porträt der Protagonistin verstehen, eingehüllt in die lichtleichten Farben des Wassers. Vor allem der Satzspiegel imponiert aber: Der Grafiker Manuel Pollanka zeigt hier zusammen mit Anett Hönig ein Beispiel dafür, wie angenehm ein Schriftbild sein kann – geradezu augenschmeichlerisch. Schon aufgrund dieser Leistung nimmt man das Buch gern zur Hand! Kein Wunder, dass es bei „Literatur des Monats“ von 889FM Kultur eine Sonderwürdigung dafür erhielt – und kein Wunder darüber hinaus, dass das Buch den zweiten Platz bei Literatur des Monats für den April 2024 errang!