Helga Schubert: Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe
Wie fühlt es sich an, nach Hause zu kommen? Man ist befreit, entspannt, und aufnahmebereit für alle, die schon da sind, auf einen gewartet haben. Genau so fühlt es sich an, Helga Schuberts „Stundenbuch der Liebe“ zu lesen. Der Buchdeckel wird zur Tür, durch die man tritt, und Helga Schubert begrüßt uns mit einem Lächeln. Sie erzählt von ihrer großen Liebe, von den Schwierigkeiten, die das Alter und die Krankheit mit sich bringen. Dass das so einfach geht! Satz nach Satz, ganz ohne Effekthascherei; dass es einen so mitnimmt. Wer „Liebe“ noch nicht verstanden hat, der/die kann sie hier kennenlernen.
Denn zu lieben heißt auch, für den anderen / die andere da zu sein, zu helfen, beizustehen, und auch: zu verzeihen, zu verzichten. Auf diese und jene Fahrt. Man möchte so gern mal woanders sein. Man möchte – im Falle von Helga Schubert – gern die Lesungen bestreiten, für die man nach der Auszeichnung mit dem Bachmann-Preis eingeladen worden ist. So gern man es täte – es geht nicht. Zu Hause liegt der kranke Mann und braucht Pflege und Beistand.
Natürlich ist das nicht immer einfach. Natürlich gibt es genug Momente, wo man ihn und die Beistandspflicht einfach zum Teufel wünschen würde.
Und wie dämlich die Ausreden der anderen, der Freunde und Bekannten sind, die man um Hilfe bittet, um wenigstens einmal das Haus verlassen zu können. Das muss die Autorin nicht betonen; wie läppisch das alles klingt, das zeigt sich in der Reihung. Und im Vergleich dazu, unter welchen Bedingungen Helga Schubert gerade lebt. Aber was es bedeuten würde, ihre Liebe allein zu lassen, um die Situation zu verändern: Nein, ganz klar: nein, das geht nicht.
Das lernt man bei der Lektüre: Die Liebe lässt keine Alternativen. Die Liebe aufzugeben ist keine, sie würde dem Leben was-weiß-ich nehmen, also alles, was das Leben lebenswert macht. Das sind schon keine Gedanken mehr, die in Helga Schuberts Buch stehen. Es sind Gedanken, die sie in ihren Leser:innen hervorruft. Heimlich, still und leise.
Darin besteht ihre literarische Meisterschaft: So eingängig ihr Ton ist – was sich dann im Kopf ihrer Leser:innen abspielt, das erst ist ihr Werk. Ein Paradebeispiel, wie die alte Regel „Show, don´t tell“ umgesetzt werden muss.
So kann es in diesem Buch also auch kein Fazit geben, müsste es doch explizit sein. Erzählweise und Inhalt stimmen hier überein und wirken zusammen: Wir haben Helga Schubert zu Hause besucht – sie hat uns mit unendlich vielen Geschichten und Erfahrungen beschenkt – und wenn wir das Buch (die Tür) schließlich hinter uns schließen, fühlen wir uns beschenkt, berauscht, beschwingt und auf unfassbare Weise belebt. Bücher, die so etwas können, ja, das sind Meisterwerke.
Bei uns, bei Radio 889FM Kultur und im Programm „Literatur des Monats“, nicht nur Favoritin für den Monat Januar 2024, sondern auch Monatssiegerin. Verdient, wieder einmal.
Wir wünschen Helga Schubert und ihren Lieben alles Gute!