Heiko Holste – Warum Weimar? Wie Deutschlands erste Republik zum Geburtsort kam.
Eine Frage, auf die man erst einmal gar nicht kommt: Warum Weimar? Warum eigentlich nicht Eisenach? Oder: Regensburg? Regensburg als Stadt des immerwährenden Reichstages wäre ebenfalls als Sitz der Verfassunggebenden Nationalversammlung 1919 prädestiniert gewesen, wie auch Frankfurt am Main. Warum also hat man die Weimarer Republik in Weimar gegründet?
In der Schule haben wir noch gelernt, die Konstituante sei aus zwei Gründen nach Weimar ausgewichen: erstens, um demonstrativ an den Geist von Goethe, Schiller und Konsorten anzuknüpfen, in Abgrenzung vom militaristischen Kaiserreich, und also einen Neuanfang zu wagen. Zweitens, aus Angst, die Versammlung könnte von der Spartakusgruppe gesprengt werden, die Bolschewisten könnten in Deutschland nach der Macht greifen, wie sie es in Russland getan hatten. Holste zeigt nun, dass es noch ein drittes Motiv gab, und das war nach seiner Lesart das Wichtigste: Um Deutschland zusammenzuhalten, weil die „Los von Berlin“-Bewegung so stark geworden war, dass sich separatistische Tendenzen im Rheinland ebenso wie in Bayern und vielen anderen Ländern des Reichs zeigten. Diese Beweisführung gelingt ihm. Dieses dritte Argument muss auf jeden Fall ergänzt werden.
Los von Berlin: Separatismus im Reich
Welches Argument aber das Wichtigste war? Holste ist der Meinung, das Dritte, der Separatismus. Die Äußerungen der führenden Persönlichkeiten sind eindeutig, und der Januaraufstand der Spartakisten war eben vorbei, als Wahl und Umzug nach Weimar anstanden, und somit gab es keinen Grund mehr auszuweichen. Wenn man nun Mark Jones´ „Am Anfang war Gewalt“ gelesen hat, weiß man, dass das gerade in der Anfangsphase der Weimarer Republik so eine Sache war, dass die Angst vor der Gewalt der extremen Linken in keinem Verhältnis stand zu ihrem tatsächlichen Potential, und dass es das Zerrbild dieses Potentials in den Medien und in der Angst der Menschen war, das handlungsmächtig wurde, nicht die Realität. Furcht endet nicht von einem Tag auf den anderen. Insofern halte ich es für verfehlt, die Angst vor Linksextremen so einfach beiseite zu schieben und sich auf die Äußerungen von Ebert und Scheidemann zu verlassen, die demonstrativ von der Reichseinheit sprachen. Ebert als Vorsitzender hätte ja wohl auch kaum offiziell bekanntgeben können, dass er und die Verfassungsgebende Nationalversammlung aus Angst vor einer Handvoll Radikaler in die Provinz auswichen; was wäre das für ein Signal gewesen? Für einen Staatsgründungsakt!
Warum Weimar? Als Signal für Versailles
Holste legt auch dar, dass die Wahl Weimars als Signal für die Alliierten, um mildere Friedensbedingungen zu erlangen, wirkungslos blieb: für die US-Amerikaner – für die anderen Länder bleibt er einen solchen Nachweis leider schuldig. Aber an dieser Stelle legt er den grundlegenden Fehler der neuen Republik offen, der von US-Journalisten auch erkannt wurde: Deutschland war dasselbe Land wie vorher – nur ein paar Spitzenpolitiker waren ausgetauscht worden.
Fazit
Der Hauptgewinn des Buches besteht aber wohl in der differenzierten Schilderung, wie es zur Auswahl Weimars aus dem Kreis der Bewerberstädte kam (und Weimar hatte sich selbst gar nicht beworben). So detailliert, dass darüber die Frage schon in den Hintergrund tritt, wie ernst die Gefahr des Separatismus eigentlich war. Ja, wie groß war die Gefahr? Politikersprüche und Planungen sind bekannt – aber wie real war die Gefahr? Und entsprechend: Kann das Zusammenhalten des Reichs wirklich das Hauptmotiv gewesen sein? Die Antwort auf diese Frage bleibt Desiderat für die nächste Abhandlung zur Republikgründung 1919.