Gabriel Wolkenfeld – Babylonisches Repertoire. Salzburg: Müry Salzmann, 2021.
Scheherazade lebt im Orient: In Israel will Yair, seines Zeichens mittlerer Bruder, seinen Großvater Avigdor, der im Heim gelandet ist und eisern schweigt, aus der Reserve locken, indem er ihm Geschichten aus dessen Leben erzählt, die dieser selbst ihm in seiner Kindheit erzählt hatte. Ist Avigdor dement, stur oder beides? Stur auf jeden Fall. Yair füllt die Lücken der eigenen Erinnerung mit seiner Fantasie aus: Lockt das den Großvater aus der Reserve? Als Leser:in hocken wir daneben und lauschen mit offenem Mund: Welch seltsame Essgelüste Bella Rubinsteyn zu Zeiten ihrer Schwangerschaft auslebte, im Litauen der Zwischenkriegszeit, um ein besonderes Kind zu gebären, welches den Namen „Dovydas“ tragen sollte, der dann aber zu „Avigdor“ mutierte, weil Vater Isidor a) unter Zeitdruck stand und b) besoffen war … und damit geht das Ganze erst los. Man möchte es gleich nacherzählen, dieses Kompendium der Skurrilitäten.
Eine Familiengeschichte also, ein Jahrhundert, über das ein junger „verhinderter“ Künstler referiert (erst Maler – deplatziert von der geliebten Schwester – dann Musiker …), der unterdessen mit seinem Leben und seinem künstlerischen Schaffen hadert: Ein Episodenroman, eine Sammlung Erzählungen von allen Blättern aller Zweige dieses Stammbaums, mal länger, mal kürzer. Mal tragisch verschattet, mal strahlend witzig: Ein Kaleidoskop also, dessen bunte Lichtsplitter sich zu einem äußerst farbenprächtigen Bild zusammensetzen. Man staunt, und man liest es mit ebenso viel Lust wie Spaß. Am besten gemütlich auf dem Sofa. Seien wir ehrlich: Mehr kann man sich doch gar nicht wünschen.