Doris Bewernitz – Mein Blumenglück. Gedichte aus meinem Garten
Sind wir im Zeitalter des bewusst erlebten Klimawandels besonders empfänglich für Gedichte über die Natur? Ich weiß es nicht. Tatsache ist, dass Doris Bewernitz eine Lyrikerin ersten Ranges ist, und also wundert es wenig, wenn sie sich einmal an das Naheliegende wagt. Sie beweist all die Vielfalt ihres Könnens gerade auch mit Gedichten über Blumen, Bäume, Gartenfreuden.
Bei diesem Sujet liegt die Gefahr der Banalität, der plumpen Kalendersprüche so nah, dass man kaum wagt, ein Buch in die Hand zu nehmen, das genau das im Schilde führt: „Mein Blumenglück“. Das kann doch nur schief gehen! Aber nein, schon beim flüchtigen Blättern, bei der Lektüre der ersten Zeilen merkt man: Das überzeugt. Das ist in sich stimmig, und das ist richtig, richtig gut.
Doch was da so harmlos daherkommt, ist es keineswegs. Bewernitz zeigt eine erstaunliche Vielfalt in ihrer Dichtkunst. Man findet hier Gedichte in klassischem Versmaß, sogar mit Endreim. Dabei kommt alles ganz natürlich daher, jeder Satz fließt dahin, wie er fließen muss: Da gibt es kein „Reim dich oder ich fress dich“, keine willkürlichen Verdrehungen der Satzstellung, damit das richtige Wort am Zeilenende landet. Bewernitz zeigt uns mit leichter Hand, dass die alten Versformen keineswegs altmodisch sind, sondern dass sie den Wörtern eine Fassung geben können, in der sie strahlen. So werden Wörter zu Worten. Und das berührt ganz unmittelbar.
Das wunderschön gestaltete Buch ist eine neue Kostbarkeit aus dem Hause Eschbach, und hier haben sich die Macher:innen selbst übertroffen: Jede Seite ist anders gestaltet, mit einer Freude an Farben und Formen, die man geradezu fühlen kann. Die Gedichte sind nach Monaten gegliedert – was blüht jetzt im Garten, was zeigt sich? – und die Monatsnamen in Fotos eingebunden. Dazwischen schmücken Zeichnungen jede einzelne Seite, Zeichnungen all der Pflanzen, die Doris Bewernitz uns so beglückend nahe bringt, und die immer wieder anders präsentiert werden. Mal wie in ein Herbarium geklebt, mal wie ein kolorierter Kupferstich aus vergangenen Jahrhunderten. Mal naiv wie eine Kinderzeichnung – allerdings eine perfekte – mal wie ein Ikebana-Gesteck. Mal wie hingeworfen, mal als klassische Illustration auf der Nebenseite. Mal überblenden die Gedichte die Pflanzen, mal umschlingen die Ranken die Zeilen. Immer wieder auch Seiten in ruhigem, dunklen Blattgrün.
Mit diesem Buch wandert man durch ein Jahr, durch den Garten von Doris Bewernitz. Sie nimmt einen an der Hand und bringt einem all die Schönheiten nahe, die die Natur jeweils hergibt. Es ist, als spüre man ihre Hand. Auf jeden Fall spürt man die Liebe, mit der hier ein Buch wirklich kongenial gestaltet worden ist. Ein beglückendes Buch.
Kein Wunder also, dass es die Jury von Radio 889FM Kultur zur Literatur des Monats September 2022 gewählt hat!