Rüdiger Hachtmann: 1848. Revolution in Berlin
An die 1848er-Revolution erinnert man sich (wenn, dann) als Beispiel eines völlig langweiligen Themas aus dem Geschichtsunterricht. So war es in der Schule, so im Studium. Die Revolution ist ja auch ein klassisches Beispiel für „als Tiger losgesprungen, als Bettvorleger gelandet“. Liegt das am Thema oder an dessen Aufbereitung?
Ein Problem der Dramaturgie
Anders als bei der amerikanischen oder der französischen Revolution ist die von 1848/49 in Deutschland bzw. im Deutschen Bund einfach schlecht geplottet. Am Anfang steht die große Explosion, darauf folgt ein Verplätschern in der Ausdifferenzierung der Parteiungen in der Nationalversammlung der Paulskirche. Und schließlich übernehmen die alten Mächte ohne große Mühe wieder die Macht und alles verläuft im Sande. Der Weltengeist, der das geschrieben hat, gehört geohrfeigt. Aber so sieht die „gängige“ Darstellung dieser großen Volkserhebung aus – so kennt der Babyboomer-Jahrgang sie aus der Schule (schnarch) und dem Studium (schlummer).
Ein strukturelles, ein prinzipielles Problem besteht in der „deutschen Kleinstaaterei“. Es gab nicht ein Machtzentrum zu erobern, von dem aus dann alles neu hätte geformt werden können: Neben den Orten der Aufstände gab es von der Revolution unberührte Territorien, daneben auch „Horte der Reaktion“. Schon das widerstrebt einer anständigen Dramatisierung, wie auch einem Erfolg des zugrundeliegenden Geschehens. Blickt man aber auf einzelne Länder (Braunschweig! Österreich! Preußen!), sieht das Bild doch anders aus, gelingen ganz andere Spannungsbögen – andere Erfolgs- und Misserfolgsgeschichten. Hachtmann exemplifiziert dies am Beispiel der Haupt- und Residenzstadt Berlin (und damit in zweiter Linie Preußen). Und auf einmal wird die Sache nicht nur interessant, sondern richtig spannend.
Aufstand!
Natürlich begann die Revolution, wie sie eben begann: Die Unterdrückung war allzu rigide, die Gemüter waren erregt, die Menschen fassten aber auch Mut, angeregt von der Schweiz 1847, aber auch von Paris und Wien 1848. Der Tropfen auf den heißen Stein bestand aus zwei Schüssen, aufgrund derer Angst in Wut umschlug und es zu Barrikadenkämpfen kam, bei denen das preußische Militär schmählich unterlag. Anschließend sah sich der König „von Gottes Gnaden“ zur Demut vor dem Volke gezwungen – und damit zu unversöhnlichem Hass, nicht nur bei ihm, sondern bei allen, die ihm nahe standen: bei der herrschenden Kamarilla (eine zeitgenössische Bezeichnung des Umkreises von Friedrich Wilhelm IV.).
Es erscheint aus Historikerperspektive fast wie ein Zufall, dass es am 18. März 1848 zu Straßenkämpfen kam – und der Erfolg war so umfassend, was wiederum so überwältigend war, dass es die Sieger kaum fassen konnten, dass sie gar nicht recht zu wissen schienen, was nun als nächstes zu tun war (= die Macht sichern …, was unterblieb). Zwar unterstellen die Konservativen den „Revolutionären“ von Anfang an, fremdgeleitet von Franzosen zu sein – aber das war und ist nichts anderes als eine Lüge, eine Verschwörungstheorie, die (wie auch die heutigen) nichts zur Erklärung beiträgt. Tatsächlich war diese Revolution (wie auch die von 1918/19) eine geradezu „reine“ Revolution: Ihr lag keine Agitation, keine Aufwiegelung zugrunde – es gab eben keine Gruppe von „Berufsrevolutionären“, die alles lenkte – sondern es war das Volk selbst (und insbesondere die Armen, die „Unterschichten“), das sich erhob, und das die Plagen der Herrschenden abschüttelte, das wild umher sprang wie ein junges Fohlen, das eben die Ketten gesprengt hat. Das nämlich zeigt Hachtmann deutlich: Dies war keine Revolution von Beamten, von Bürgern Berlins (die eine kleine Minderheit innerhalb der Einwohnerschaft waren), sondern es waren die „kleinen Leute“, also die Bevölkerungsmehrheit, die sich hier wehrte. Und es blieb auch nicht bei jenen Barrikadenkämpfen am 18. März, nein, es folgten eine ganze Reihe weiterer Aufstände und Aktionen ganz unterschiedlicher Gesellschafts- und Berufsgruppen, bis in den Herbst hinein. Sprich, ein Paukenschlag am Anfang, aber damit setzte die Musik erst ein. Die Revolution besteht nicht nur aus dem Sich-endlich-mal-Wehren vom 18. März 1848.
Eine Revolution ohne Revolutionäre
Damit zeigt sich aber auch das grundlegende Problem dieser Revolution. Als Aufstand der gesamten Bevölkerung (inklusive der Frauen!) siegt sie, jedoch spült dieser Sieg keine Revolutionäre nach oben, sondern die Oberschicht des Bürgertums (das allein genügend “Freizeit” für eine unbezahlte politische Tätigkeit hat). Und das hat sofort nichts besseres zu tun, als den Anschluss nach oben zu suchen – alle weiteren Schritte MIT der Krone AUSZUHANDELN, statt gegen sie durchzusetzen, was notwendig gewesen wäre – und dabei zu versuchen, die Unterschichten und die nationalen Minderheiten (durchaus auch mit Gewalt und im Einklang mit den alten Mächten) zu „bändigen“. Damit jedoch schneidet sich das gehobene Bürgertum von der Basis seiner Macht ab, was der preußischen Kamarilla nicht entgeht. Der Gegenschlag erfolgt rasch und konsequent, und da die „Revolutionäre“ keine Basis mehr haben, fällt die ganze Sache nach wenigen Monaten (ach was, eigentlich schon binnen Wochen) in sich zusammen. Was die Parlamentarier (insbesondere in Frankfurt) anscheinend nicht einmal bemerkt haben. Ein abgehobenes „Professorenparlament“ eben. Und genau deshalb gibt es hier auch keinen “deutschen Idealismus” zu idealisieren.
So entsteht ein neues Bild der 48er-Revolution, das das alte Bild an zentralen Stellen ergänzt und korrigiert. Das die Vorgänge überhaupt erst erklären kann. Das Paulskirchenparlament nämlich – das in den gängigen Darstellungen Dreh- und Angelpunkt der Revolution ist – spielt in Berlin so gut wie gar keine Rolle. Wogegen von Anfang an klar ist: mit DIESEM König, mit dem „Romantiker auf dem Thron“, ist überhaupt nichts zu machen – und was da im fernen Frankfurt stattfindet, hat einfach gar keine Relevanz. Der Antrag von dort, im Frühjahr 1849, der preußische König solle sich von den Parlamentariern zum Kaiser krönen lassen, ist einfach nur absurd.
Von diesem Ausgangspunkt aus wird die Geschichte der Revolution von 1848/49 richtig spannend, richtig lehrreich, gerade auch für die Zukunft. Die Parallelen zur „gescheiterten“ Revolution 1918/19 und zur „Übernahme“ der DDR nach ihrer Revolution 1989 drängen sich geradezu auf. Eine sehr aktuelle, sehr lehrreiche Lektüre.