Gábor Fónyad – Als Jesus in die Puszta kam
Ludwig Neustätter heißt der Held des Romans von Gábor Fónyad, und er scheint aus einem ähnlichen Holz geschnitten zu sein wie Sven Regeners Herr Lehmann. Allerdings treibt sich Fónyads Ludwig nicht im Berliner Kiez herum, sondern er lässt sich von Wien aus gleich nach Ungarn treiben, in Orte, deren Namen selbst ihm, dem Halbungar, die Zunge verknoten. Als konfliktscheu wird er beschrieben, etwas willensschwach ist er – unfähig, Nein zu sagen – und so treibt ihn sein Schicksal ins Nachbarland und in die Fänge einer Sekte, die ausgerechnet ihn zu ihrem Messias, zum ungarischen Jesus erkoren hat. Religiöser Wahn, wie weit ist der von Verschwörungstheorien entfernt? Viele Fragen knüpfen sich hier an. Das Thema ist bitter ernst, gerade in Ungarn, aber nicht viel weniger in Österreich, in Deutschland … wird dies alles nicht allzu unerfreulich?
Nein, das wird es nicht, und zwar dank der wunderbar leichten Feder von Gábor Fónyad. Sein Ludwig ist uns schon nach den ersten Zeilen vertraut: Wer hat nicht gelegentlich – oder immer wieder – Schwierigkeiten, einmal kräftig und laut „Nein“ zu rufen, wenn etwas mit einem getan werden soll, was man eigentlich gar nicht will? Man will es sich doch mit niemandem verderben. Man erkennt sich wieder. Doch was passiert, wenn man sich zu viel gefallen lässt? Es ist Fónyads wunderbarer Humor, der dieses Buch zum Lesegenuss macht. Ludwig stolpert tollpatschig durch eine Welt seltsamster Geschehnisse und Gefahren, und dabei hält der Autor immer seine schützende Hand über ihn. Es scheint irgendwie, als ginge Ludwig das alles gar nichts an, was ihm widerfährt. Und so kommt eins zum anderen, türmen sich die Unglaublichkeiten auf, bis man geschlossene Gedankensysteme vor sich hat, aus denen kaum mehr ein Entkommen möglich ist. Wie holt Fónyad seinen Ludwig da bloß wieder raus?
Das glühende Rot des Covers zeigt einen Mann mit nackten Oberkörper und wallendem Haar: Ein Sekten-Jesus, wie er im Buche steht, wie man ihn auch immer wieder in der realen Welt findet. Hier allerdings von hinten, ohne Gesicht. Er sieht und geht in eine flache Abendlandschaft hinein: die ungarische Puszta? Eine gelungene Interpretation des Themas. Sehr schön auch die übrige Gestaltung des Bandes. Das Vorsatzpapier setzt mit einem lichten Hellblau einen kräftigen Kontrast – wie das Lesebändchen – das Buch ist in einer schönen, leicht lesbaren klassischen Schrift gesetzt. Es macht Spaß. Kein Wunder also, dass auch dieses Buch zum Sieger im September 2022 von „Literatur des Monats“ gewählt wurde, von der Jury von Radio 889FM Kultur.